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Der Pastor und der Weltraum

Warum ein schottischer Geistlicher mit seiner Erfindung heute ein sensationelles Comeback feiert.

Manchmal eröffnen alte Technologien ganz unerwartet frische Perspektiven für bahnbrechende Innovationen – so auch die Erfindung des schottischen Geistlichen Robert Stirling, der 1816 sozusagen nebenberuflich einen ganz besonderen Motor konstruierte …

Es knallte oft in den Fabriken des 19. Jahrhunderts: 1803 starben vier Arbeiter in Greenwich, als der Dampfkessel einer Hochdruckdampfmaschine explodierte. Trotz der generellen Zuverlässigkeit der neuen Technologie kam es immer wieder zu solchen Zwischenfällen – mit vielen Toten und Verletzten.

Niemand würde für möglich halten, dass ausgerechnet ein junger Pastor aus der schottischen Provinz sich Gedanken über eine andere, weniger gefährliche Antriebslösung machen würde. Gerade von der Schottischen Kirche geweiht, meldete der 26 Jahre junge Robert Stirling im September 1816 sein Patent der Heissluftmaschine an, die später als Stirling-Motor bekannt wurde – und deren Vorteile heute wieder neu entdeckt werden.

ROBERT STIRLING

1790-1878
  • Studium Latein, Griechisch, Logik und Mathematik in Edinburgh
  • Studium Theologie und Recht in Glasgow
  • 1816 Geweiht als Geistlicher der Schottischen Kirche
  • 1816 Patent einer Heissluftmaschine (späterer Stirling-Motor)
  • Zusammenarbeit mit seinem Bruder James (Mechanik-Ingenieur) in der Maschinenentwicklung

HEISS UND KALT – EIN BEWEGENDER KONTRAST

Das Prinzip von Stirlings Konstruktion war einfach: Ein Medium wie Gas wurde in einem abgeschlossenen Zylinder erhitzt und in einem anderen abgeschlossenen Zylinder gekühlt. Das Gas bewegt sich zwischen den beiden Zylindern hin und her und wechselt dabei ständig die Temperatur. Die hierbei entstehende Energie wird in Bewegungsenergie umgewandelt.

Ein mittels Kerzenwärme betriebener Demonstrations-Stirlingmotor

Auf diese Weise war es bereits mit einem geringen Heizaufwand möglich, Maschinen zu betreiben. Ein weiterer Vorteil: Für den Betrieb des Stirling-Motors kann jede beliebige externe Wärmequelle genutzt werden – unter anderem auch die Sonne.

Das Rad dreht sich gegen den Urzeigersinn…

…mit Hilfe der Wechselwirkung von Kälte und Wärme.

Kalt und Warm sind immer auf 10 und 4 Uhr ausgeglichen.

Dann folgt wieder ein Ungleichgewicht – und so einfach wird Energie geschaffen!

Und Stirling war anscheinend einer jener Visionäre, die sich bereits im 19. Jahrhundert darüber Gedanken machten, was wir heute unter „Nachhaltigkeit“ verstehen: 1843 lieferte er an eine schottische Gießerei einen Motor, in dem ein Regenerator die erzeugte Hitze speicherte und bei Bedarf wieder abgab. Damit benötigte sein Stirling-Motor nur noch ein Drittel des Treibstoffes, der für die vorher eingesetzte Dampfmaschine erforderlich war.

Dieses Modell läuft mit der Wärme der Hand
Foto: Arsdell / Wikipedia Lizenz: CC by-sa 3.0

PHILIPS BRINGT STIRLING IN DIE HAUSHALTE

In den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts griff der niederländische Elektrokonzern Philips Stirlings Idee wieder auf und entwickelte sie für den heimischen Gebrauch weiter – zunächst als mobile Stromversorgung für die Elektronenröhren von Radios oder in den 70er und 80er Jahren als umweltschonendere Alternative zu den Verbrennungsmotoren in Automobilen.

Museumsstück mit Zukunftspotenzial: Im Deutschen Museum in München haben die innovativen Stirling-Motoren von Philips einen ehrwürdigen Platz gefunden. Hier ein Ein-Zylinder-Motor mit einer Leistung von ca. 0,3 kW.

Besonders interessant für moderne Anwendungen:

Wird der Stirling-Motor von aussen angetrieben, lässt er sich als Wärme- oder Kältepumpe nutzen. Gerade als leistungsstarke Lösung für die Kältetechnik bewährt sich der Stirling-Motor heute in vielen Innovationen – und hat es in dieser Funktion auch schon in den Weltraum geschafft!

RHESSI – STIRLING AUF GROSSER FORSCHUNGSMISSION

Am 5. Februar 2002 startete das NASA-Weltraumteleskop RHESSI (Reuven Ramaty High Energy Solar Spectroscopic Imager – auch Explorer 81 genannt) ins All.

Die Aufgabe: die Beobachtung der Sonne im Röntgen- und Gammabereich, die Untersuchung von Sonneneruptionen und Sonnenkorona sowie die damit zusammenhängenden Phänomene der Teilchenbeschleunigung.

Mit an Bord: ein Stirling Cryocooler, der die neun grossen Detektoren des Satelliten permanent auf -198 0C herunterkühlte. Auch diese Technologie baute auf die Erkenntnisse von Robert Stirling auf – und wurde ausschliesslich mit Solarenergie betrieben.

Abschied von der Pegasus-Rakete am Boden

Pegasus-XL-Trägerrakete vor dem Start

Nach dem Ausklinken unter dem Flugzeug

Nach dem Zünden der Triebwerke

Sunpower-Stirling-Kryokühler montiert auf der RHESSI-Kühlerstruktur

Einsatz im Weltraum

Damit war Stirling-Technologie ein entscheidender Bestandteil der Konstruktion von RHESSI und somit auch ein massgeblicher Faktor für den Erfolg der Sonnen-Mission.

RHESSI lieferte Daten über mehr als einen elfjährigen Sonnenzyklus und registrierte dabei über 120.000 Röntgenstrahlen-Ereignisse – bis sich im Frühjahr 2018 die Kommunikation mit dem Weltraumteleskop verschlechterte. Am 12. April 2018 wurde die RHESSI-Mission deshalb nach über 16 Jahren erfolgreich abgeschlossen.

Für Stirling hat das RHESSI-Projekt bis heute grosse Bedeutung – zeigt es doch, wie robust und zuverlässig Stirling-Technologien auch unter den schwierigsten Bedingungen funktionieren!

Rhessi Weltraumteleskop

  • Start Mission: 5. Februar 2002
  • Ende Mission: 12. April 2018
  • Aufgabe: Sonnenbeobachtung im Röntgen- und Gammabereich, Untersuchung der physikalischen Abläufe bei der Teilchenbeschleunigung
  • Ursprünglich geplante Betriebsdauer: 2 Jahre
  • Tatsächliche Betriebsdauer: 16 Jahre
  • 9 Halbleiter-Detektoren, gekühlt mit Stirling-Technologie

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